Montag, 2. September 2013

Buchbesprechung und Verlosung: "Schwimmen mit Elefanten" von Yoko Ogawa



Bevor ich loslege sei zunächst einmal dem Münchner Liebeskind-Verlag doppelt gedankt: Zum ersten, weil er die heutige Verlosung des neuen Romans von Yoko Ogawa ermöglicht hat, zum zweiten, weil - zufälligerweise ganz wie in der Besprechung des zuvor erschienenen Ogawa-Bandes gewünscht - nunmehr ein Buch von Yoko Ogawa auf Deutsch veröffentlicht wurde, das in Japan im Jahr 2009 erschien und so nun den deutschsprachigen Fans der Autorin einen Einblick in das jüngere, fast schon aktuelle Schaffen der Autorin gewährt.

Wie in "Das Geheimnis der Eulerschen Formel" greift Ogawa ein Thema von mehr oder weniger speziellem Interesse auf und vermag, auch ohne besondere Fachkenntnisse bei den Lesern vorauszusetzen, einen bleibenden Eindruck dieses Spezialgebiets zu vermitteln, der die ganze Magie dieses vermeintlich abseitigen Themas spürbar werden lässt. So auch hier. Es geht um die Welt der Schach-Freaks und Schach-Nerds. Und wer von Ogawas so fesselnden wie überzeugenden Psychogrammen ihrer Figuren immer auch einen Anteil des Magisch-Fantastisch-Surrealen erwartet, wird auch diesmal nicht enttäuscht.

Ich muß an dieser Stelle das Buch vor seinem Klappentext ein wenig in Schutz nehmen: Der Roman ist diesmal geradliniger und bodenständiger erzählt als viele seiner Vorgänger. Über weite Strecken verzichtet der Text nicht auf Plausibilität, Stringenz und Chronologie der Handlung - was im Klappentext so abgefahren anmutet, ist eher der virtuosen Verstrickung zahlreicher Leitmotive geschuldet, die mir in diesem Buch jedoch hin und wieder trotzdem etwas konstruiert und bemüht erschien. Dafür gibt es diesmal ein superromantisch-tragisches Ende, das geradezu nach einer Verfilmung schreit, bei der (selbst) man(n) schwer schlucken muß, um die Tränen zu unterdrücken. Wird hier aber nicht verraten!

Worum geht es im Roman?

Ein kleiner Junge wird mit einer Deformation geboren und seine zusammengewachsenen Lippen müssen durch plastische Chirurgie geformt werden. Dabei erhält er Lippen aus der Haut seiner Waden, weshalb er später irgendwann gegen die hartnäckige Behaarung auf seinen Lippen kapituliert. In seiner Klasse daher ein Freak, meidet er seine ihn mobbenden Mitschüler und schleicht sich bereits vor Unterrichtsbeginn in die Schule. Dabei entdeckt er eines Tages durch Zufall die Leiche eines Busfahrers, der die Schwimmanlage der Schule unerlaubt benutzte - ebenfalls ein Freak, aber ein Schwimm-Freak. Die Sache läßt dem Jungen keine Ruhe und bei seinen Nachforschungen über den obskuren Toten lernt er einen ehemaligen Kollegen des toten Busfahrers kennen, ebenfalls ein schräger Typ (den ich gerne mal auf der Leinwand erleben möchte!), der ihn für die Welt des Schach begeistert und sein Meister im urjapanischen Sinne des Wortes wird.

Aus dem jungen Freak mit den behaarten Lippen wird ein Schach-Nerd und Wunderkind. Wie alle Freaks hat er aber gleich mehrere Macken: Am besten spielt er Schach, wenn er unter dem Schachtisch sitzt und das Spiel komplett vor seinem geistigen Auge visualisiert (was die story sogar recht plausibel herleitet!).

Durch Vermittlung seines Meisters trifft er auf einen Klub Schach-Verrückter-Ogawa-Style (DAS muß man selbst gelesen haben, sonst kann man es sich nicht vorstellen) und wird durch das Zusammentreffen mit diesem Klub zum "kleinen Aljechin" - ein Schachwunderkind, versteckt in einem Schach-Automaten, der an von Kempelens "Schachtürken" erinnert, aber den "Großmeister Aljechin" auf mechanische Weise als humanoiden Automaten in der Tradition der Androiden Vaucansons wiederauferstehen lässt. In seinem Schachspiel geht es ihm mehr um Ästhetik und die Gefühle, die sich bei ihm und seinen Gegnern beim Spielen einstellen als um das Gewinnen, dazu kommt der spektakuläre Reiz des vermeintlich künstlichen Lebens eines Androiden.


Der Titel des Romans leitet sich von seiner Leitmotivik ab und dem, was das Schach in seinen abstrakten spirituell-kosmischen Dimensionen seelisch in dem Protagonisten bewirkt. Hier schafft es der Roman tatsächlich dieses Gefühl des Erhabenen, Transzendenten, Kosmischen (und was an derlei romantischen Topoi mehr passen könnte) zu vermitteln, das sich auch im Schach finden lässt, wenn man intensiv genug in das Sujet eindringt. Schließlich verquickt der Roman dies alles noch mit einer surrealen, romantischen und tragischen Liebesgeschichte, die Ogawa-Style ist, aber auch gekonnt an Parallelen aus Weltliteratur und Weltkino erinnert.

Wie der Protagonist am Ende unter Auslöschung seiner Person und seines Selbst ganz Teil des Schach-Universums wird, ist sehr japanisch gedacht und ein perfekt passendes Ende. Mehr soll aber nicht verraten werden...


Hier hat eine Autorin zu ihrem souveränen Stil gefunden und es wäre nicht fair von jedem ihrer Romane ein "das-haut-mich-jetzt-total-um" zu erwarten. Wer Ogawas Bücher mag, wird hier mehr auf seine/ihre Kosten kommen als beim Vorgängerbuch. Die Ogawa-Magie hat sie bis in die Gegenwart hinein noch drauf, die Fans können diesbezüglich also beruhigt sein. Mich besonders beeindruckt hat im Unterschied zu früheren, stärker psychologisierenden Texten die Fähigkeit der Autorin, in ein neues Sachgebiet einzutauchen und nicht nur sehr geschickt zu recherchieren, sondern aus den Ergebnissen der Recherche etwas höchst Eigenständiges, Faszinierendes zu entwickeln. Hier schafft es die Autorin auch, auf diskrete, aber sehr treffende Art auf Kollegen der Weltliteratur anzuspielen. In gewisser Weise setzt sich so die "Automaten-Literatur" des 18. und 19. Jahrhunderts in die Gegenwart fort - aber eben Ogawa-Style. Das verdient ein "Wow!" und macht hoffentlich vielen Lesern Lust auf die diversen literarischen Vorgänger von E.T.A. Hoffmann über Jean Paul bis zu Lawrence Durell und Philip K. Dick. Zu den Schach-Anspielungen kann ich leider keine kompetenten Anmerkungen machen, was die Autorin jedoch über Baron von Kempelens "Schachtürken" in ihr Werk hat einfließen lassen, ist meines Erachtens sehr gelungen.

Also: Lest selbst und wer mag, hat hier sogar die Chance, ein Exemplar des Romans zu gewinnen.

Schreibt einfach das Stichwort „Ogawa“ an:
japanfreundehamburg[at]googlemail.com

Einsendeschluß ist der 15. September 2013.

VIEL GLÜCK!


Und wer mehr über Androide, Automaten und künstliche Menschen in der Literatur wissen möchte, dem sei das Standard-Werk zum Thema empfohlen, das es hier gibt...

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für wertvolle Informationen. Nizza Post. Ich war sehr erfreut, diesen Beitrag. Das ganze Blog ist sehr schön fand einige gute Sachen und gute Informationen hier Danke .. Besuchen Sie auch meine Seite schach online spielen


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