Montag, 12. März 2012

Kinetische Kunst als Zukunfts-Labor

Susumu Shingu und Renzo Piano
Vortrag „Breathing Earth“ von Susumu Shingu
 
Es gab einmal eine Zeit, es ist noch gar nicht so lange her, da galt unter Experten zahlloser Fachrichtungen von der Robotik über die künstliche Intelligenzforschung bis hin zur Informatik und dem Design Tokio als „Hauptstadt des 21. Jahrhunderts“. Dieser Ruf ist zwar noch nicht ganz verloren gegangen, aber es wurde merklich stiller und die ein oder andere aufstrebende Megapolis vom Schlage eines Shanghai eroberte auf vielen Gebieten diesen Ehrentitel für sich. Doch mit dem aus Hamburgs Partnerstadt Osaka stammenden „Windkünstler“ Susumu Shingu trat am 06. März in der Technischen Universität Hamburg-Harburg ein Multi-Macher, man müsste genauer sagen, ein Künstler-Ingenieur vor das Publikum, von dem man behaupten könnte, dass dieser Mann zu denjenigen Persönlichkeiten auf dieser kleinen blauen Kugel zählt, die tatsächlich ihren Teil dazu beitragen, um noch ein Stück weit die Zukunft zu erfinden.

Shingu an der TU Hamburg-Harburg
Doch bis dahin war es ein langer Weg. Shingu erhielt an der Tokioter Universität ursprünglich eine Ausbildung als Maler, bis er seinen italienischen Vorbildern folgte und sich an der Kunstakademie in Rom zusätzlich zum Bildhauer ausbilden ließ. Hier war es vor allem die kinetische Kunst der damaligen Zeit, die ihn in ihren Bann zog. An den von der kinetischen Kunst im dreidimensionalen Raum virtuos eingesetzten Elementen Licht, Klang und Bewegung faszinierte ihn besonders der Aspekt der Bewegung aus natürlichen Energieformen wie Wind und Wasserkraft. Gefördert durch einen Reeder aus Osaka, erschloss sich ihm anlässlich seiner Rückkehr nach Japan erstmals auch die technische Seite seiner späteren Arbieten. 

Wasser-Wind-Skulptur von Shingu
Seinen internationalen Durchbruch verdankt er offenbar jedoch Renzo Piano, dem italienischen Stararchitekten der Postmoderne, der Shingu bei wichtigen Bauvorhaben für die „Kunst am Bau“ mit ins Boot holte, die heute allesamt Architekturgeschichte sind. Die zwei bildeten in der Tat über viele Jahre hinweg ein kongeniales Gespann - Shingus Arbeiten sorgten als Blickfang an Pianos Architektur für den krönenden Abschluss. So vermochte er beispielsweise auf Anregung Pianos die eigentlich unsichtbaren Luftströme in einem riesigen Flughafen-Terminal des Architekten mit seiner Kunst zu visualisieren - ein fesselndes Fest für die Augen und mehr als passend für einen Flughafen, konnten die Passagiere so doch die Luftströme, auf denen sie sich in Kürze durch die Lüfte tragen lassen würden, sinnlich erfahren. Unvergessen auch seine „Segel“, die er für den Hafen von Genua erschuf und die an den größten Seefahrer der Stadt erinnern sollen - heute gilt diese Arbeit vollkommen zu Recht als eines ihrer Wahrzeichen und ist aus Genuas Altstadt nicht mehr wegzudenken.

"Segel" von Shingu im Altstadt-Hafen von Genua
Auch wenn sich seine Kunstwerke im Großen und Ganzen immer wieder deutlich an die kinetische Kunst seiner Vorbilder anlehnte, vermochte er im Laufe der Jahrzehnte doch immer wieder auch sehr überraschende Arbeiten zu erschaffen, die eine eigene Formensprache entwickelten. 

Die jahrzehntelange Arbeit mit den Kräften der Natur bewirkte bei ihm einerseits einen gewissen verständnisvollen Gleichmut: Auch einen Taifun sieht Shingu trotz seiner zerstörerischen Kraft als Teil der Natur, die dem Menschen jedoch gleichzeitig ein staunenswertes Leben voller kleiner und großer Wunder beschert. Andererseits hat er während eines halben Jahrhunderts intensive Erfahrungen mit den Naturgewalten gesammelt und reiste mehrmals um die ganze Welt, um von unterschiedlichsten Naturvölkern und deren eng mit der Natur verbundenen Lebensweisen zu lernen, die er in vielerlei Hinsicht für zukunftsweisend hält. Dieser Erfahrungsschatz ließ ihn ein besonderes Verhältnis zur Natur entwickeln, das ihn zu seinen aktuellen Projekten „Rice Paddies“ und „Breathing Earth“ führte. 

Projekt, bei dem Shingus Kunst auf allen Erdteilen aufgestellt wurde
Das von ihm ins Leben gerufene interdisziplinäre Projekt „Breathing Earth“, das er den zahlreich erschienenen Zuhörern vorstellte, hat in der Tat das Zeug dazu, in vielerlei Hinsicht einige zukünftige Trends vorwegzunehmen und einen Vorgeschmack auf die Art und Weise zu geben, wie zukünftige Generationen vielleicht einmal leben werden oder leben sollten. „Breathing Earth“ hat das Ziel, ein kleines Dorf mittels natürlicher Energieformen wie Wind und Sonnenkraft zum Selbstversorger zu verwandeln. 

Sich selbst erleuchtende Windkraft-Skulptur
Shingus kinetische Kunst ist dabei nicht nur hübsch anzusehen in ihren eleganten Bewegungen, sondern produziert dabei auch noch Energie. Der Künstler räumt zwar ein, dass er die perfekte Form noch nicht gefunden habe und der energetische Ertrag seiner Windkunst noch gering sei, aber eine Kunst, die mir das Haus beleuchtet, quasi nebenbei, ist bereits heute beeindruckend. Und er betont, dass seine Kunst besonders geräuscharm ist - wer eine Skulptur von Shingu sich in den Garten stellt, braucht sich also vor Stress mit den Nachbarn nicht zu fürchten. Auch nicht zu verachten ist die Tatsache, dass seine Skulpturen auch an windschwachen Orten ohne Probleme Strom liefern.

Eine Windkraft-Skulptur wird konstruiert
Obwohl das in unserer vermeintlich (post-)postmodernen Welt, in der ja eigentlich alle Utopien auf dem Müllberg der Geschichte gelandet sein sollten, verpönt sein mag, träumt er aufgrund seiner Erfahrungen sowie seinem Respekt vor der Natur und dem Leben von einer Art Öko-Utopie, bei deren Umsetzung er auf die Zusammenarbeit von Künsten und Wissenschaftn aus verschiedenen Fachgebieten setzt - darunter Experten aus der Landwirtschaft, dem Maschinenbau, der Meereskunde und der Astronomie. 

Reisanbau als Freizeit-Natur-Erlebnis
Neben der Selbstversorgung steht ferner der übergeordnete Wunsch im Vordergrund, bedrohlichen Schaden an unserer Umwelt und unserem Planeten so gering wie möglich zu halten. Im Rahmen der Projekte „Rice Paddies“ und „Breathing Earth“ wurden so Kinder aus der Region zusammen mit Kindern aus der ganzen Welt eingeladen, um gemeinsam an Freiland-Kursen teilzunehmen, bei denen sie so unterschiedliche Fertigkeiten wie Reisanbau, Naturbeobachtung, aber auch Malerei und Skulptur erlernten. 

Präsentation verschiedener Schüler-Skulpturen
Weil für seine Generation nach Shingus Aussage Reisfelder eine Art Spielplatz waren, versucht er beim Projekt „Rice Paddies“ so auch Bildschirmkindern etwas Naturerfahrung und Respekt vor Natur und dem Leben zu vermitteln sowie Menschen mehrerer Generationen und Nationen zu vereinen. Die von ihm vorgeführte Dokumentation der Projekte zeigte, dass beide Kunst-Aktionen in einem interdisziplinären Kunst-Festival mündeten, das auch verschiedene musikalische Darbietungen einschloss und in Zukunft hoffentlich zu einer Dauereinrichtung werden soll. Ein Festival verschiedener Künste, der Natur und der alltagstauglichen Öko-Technologie, das die Besucher sich früher oder später als Teil des Kosmos’ fühlen lässt.

Konzert im Rahmen des Kunst-Festivals
Am Schluss liess der umfassende und entspannte Vortrag viele strahlende Gesichter zurück und nur noch eine einzige Frage offen: 

Wann bekommt Hamburg endlich eine Skulptur von Susumu Shingu?

 

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